Wenn Sie wissen wollen, warum ich nach wie vor - trotz aller selbsterzeugten Kirchenkrisen - gerne Priester bin, dann kann ich gut antworten mit diesem Evangelium. Dieser Text, der zwei Wundererzählungen miteinander verschachtelt, berührt mich, weil hier der Seelsorger Jesus handelt. Er ist der Meister, der sich berühren lässt und der andere berührt. Diese Berührungen heilen eine Frau und ein Mädchen.
Wenn ich in einer Notlage bin, suche ich nach Jesus - wie die Frau, die endlich von ihrem Leiden befreit werden will durch die Berührung seines Gewandes. Wenn ich mich wie tot fühle, sozusagen am Boden liege und nicht weiter weiß, lasse ich mich ansprechen von Jesus - wie das tote Mädchen, das durch seine Worte und durch seine Berührung neu leben darf.
Als Priester habe ich den Auftrag, mich vom Leiden anderer ansprechen zu lassen und ihnen Worte der Ermutigung, der Selbsterkenntnis und der Heilung zuzusprechen, also Seelsorger zu sein. Ich darf außerdem in Zeichen, in Sakramenten diese Seelsorge Jesu unter uns darstellen. In all meinen unterschiedlichen Aufgaben und Ämtern habe ich mich immer zu fragen, ob ich mich von anderen berühren lasse und sie selber berühre - also Nähe zeige mit der Spiritualität Jesu, mit seiner Sinngebung, die ablesbar ist in der Heiligen Schrift - wie in diesem Text heute.
Weil ich immer wieder nach seiner Sinngebung suche und versuche sie zu tun, bin ich gerne Priester, denn jede mitmenschliche Begegnung hat die Chance zu einem Ereignis im Sinne Jesu zu werden, zur heilsamen Sinneserfahrung.
Übrigens ist das nicht einem Priester vorbehalten, sondern gehört zu allen seelsorglichen Berufen in der Kirche Jesu Christi - Gemeindereferentin, Diakon, Katechetin, Lehrerin usw.
Die sakramentale Darstellung der Nähe, der Berührbarkeit Jesu, ist aber ein spezifisch priesterlicher Auftrag. Das Sakramentale, also das verbindlich Zeichenhafte, macht es mir leicht, weil ich weiß, dass bei einer sakramentalen Handlung wesentlich ein anderer handelt, es also nicht von mir abhängig ist, wie die Berührung durch das Sakrament in den Menschen wirkt. Gleichwohl habe ich mich einzubringen mit meiner Person, mit meinem Glauben, mit meinem Willen. Das gelingt nicht immer. Da gibt es menschliche Defizite, die meine Umkehr einfordern immer wieder und jeden Tag neu.
Etwas von Jesus unter uns Menschen präsent werden zu lassen, ist Seelsorge, ist Menschensorge, die Heilung und Auferstehung mit sich bringen kann. Wir können füreinander und miteinander Seelsorger, Seelsorgerin sein. Berufe der Kirche sollen das immer wieder wachrufen, dass sich jeder Mensch auf den Weg zu Jesus machen kann, um ihn zu berühren oder von ihm berührt zu werden - in einem Mitmenschen oder in einem Sakrament. Jeder und jede Tote mag von Jesu Geist berührt werden zu einer Neuschöpfung.
Kritische Fragen sind berechtigt, wenn ich so etwas sage. „Wie ist das denn mit der Auferstehung? Das geht ja so nicht. Und das mit der wunderbaren Heilung wohl auch nicht.“ Ja. Priester, Seelsorgerinnen können das nicht. Aber sie können anrühren und berühren mit Worten und Taten. Wir wecken keine Toten auf, aber mitmenschlich, liebevoll, hoffnungsvoll handeln, das können wir und das sollten wir. Wir sollten das Leben bezeugen, das Leben in Fülle, das ewige Leben, das hier und heute schon da ist. Hörbar und augenfällig wird dieses Zeugnis z.B. bei einer Beerdigung.
Der Anspruch ist hoch, das Leben in Fülle, das heile und ganze Leben unter uns Menschen zu bezeugen. Jesus war anspruchsvoll mit seiner Lehre vom guten und heilsamen Leben. Was er nicht mochte, waren Menschen, die immer wissen, was recht ist, wie z.B. die Leute im Haus des Synagogenvorstehers, die sagen: „Was bemüht ihr Jesus, den Meister noch? Das ist jetzt nicht mehr nötig. Das Mädchen ist gestorben.“
Jesus weist dieses Vorurteil zurück und entgegnet: „Das Kind schläft nur.“ Umgeben von den Eltern und seinen Vertrauten berührt Jesus das Mädchen und sagt: „Mädchen, ich sage dir, steh auf!“ Sofort steht das Kind auf und geht umher. Bei diesen Heilungen ist Jesus selber berührt vom Glauben der Mitmenschen: Von der kranken Frau und vom Synagogenvorsteher, der ihn bittet, mitzukommen zu seinem kranken Kind.
Der Glaube der Mitchristen, Ihr Glaube liebe Schwestern und Brüder, und mein Glaube, also unser geteilter Glaube an die Präsenz Jesu durch Worte und Zeichen hier und heute - dieser Glaube lässt mich gerne Priester sein auch in einer Glaubensgemeinschaft, die sehr viele Probleme hat z.B. durch krankmachende Gesetze.
Dürfen wir mit diesem Evangelium einer Frau sagen: Du darfst von Jesu Geist nicht berührt werden durch eine Weihe?
Dürfen wir mit diesem Evangelium sagen: Weil deine Ehe gescheitert ist und du eine neue Ehe eingehst, darfst du dich nicht berühren lassen von Jesu Geist in der Kommunion?
Dürfen wir mit diesem Evangelium sagen: Weil ihr euch liebt als Mann und Mann oder als Frau und Frau lehnen wir eure Bitte ab, euch zu segnen?
Diese Fragen erzeugen in mir neue Fragen: Was ist das unter uns? Vertrauen wir nicht den Berührungen Jesu von damals? Erkennen wir nicht, dass Jesus, wenn es um das Heil von Menschen geht, Regeln durchbricht, Menschen berührt, die nicht berührt werden durften oder keine Chance hatten jemals geheilt zu werden? An unseren Regeln und Gesetzen verzweifele ich zuweilen. Auch wenn wir uns innerkirchlich bei den Lösungen der aktuellen Probleme, siehe Synodaler Weg, nicht wirklich auf breiter Basis näherkommen, anständig miteinander umgehen, das könnten wir. Wir könnten uns gegenseitig berühren lassen von den Problemen der Menschen.
Diese könnten gelöst, ja geheilt werden im Sinne Jesu, so meine Überzeugung, wenn wir den Glauben hätten, dass Jesu Gegenwart uns erfüllte mit der Heilung von Selbstgerechtigkeit, die immer weiß, was für andere gut ist, ohne diese anderen Menschen und deren berechtigten Fragen an sich herankommen zu lassen.
Jesus hat die bedürftigen, die glaubenden, die fragenden Menschen an sich herankommen lassen und sie berührt, angesprochen, aufgerichtet.
Genau das können wir immer wieder miteinander tun, wir, die wir uns in seinem Namen versammeln. Dieses Evangelium ist für mich Ansporn, solche Versammlungen unter uns wahr werden zu lassen - im Gottesdienst, in Gruppen, in persönlichen Treffen. Es geht darum, sich von Jesu Spiritualität berühren zu lassen. Das verändert uns selber - merkt ihr es?
Ich bin gerne Priester, weil ich in diesem Beruf die Frage nach Gott, nach Jesus, nach seinem Geist unter uns Menschen bei den verschiedensten Gelegenheiten stellen darf. Gerne stelle ich diese Frage unter uns und suche gemeinsam nach Antworten, die uns heilend berühren.
Wundersames kann dann geschehen, wie es jemand gedichtet hat:
dort
"wo ich mich klein mache und verbiege
wo ich den Blick verenge
mich in einsilbigkeit verliere und nicht vorwärts lebe
kommst du entgegen
legst hand an
entkrümmst mich mit einem ja
zum leben hin mit neuer weite
unvermutet"
Jesus, Freund des Lebens - Unvermutet (Stefan Schlager, Tedeum 06/2021/S. 267)
Ihr Pfarrer Georg Schröder
Wenn Sie den Text hören möchten, finden Sie hier die Audiodatei: (Gedanken zum 13. Sonntag i JahrKr; Audio, 4 MB)