Unterm Krummstab ist gut leben
Der Krummstab als Teil des Waldskulpturenwegs ist gebeugt und doch lebendig
Aus dem Bistumskalender. Der Rothaarkamm ist mehr als ein Mittelgebirgszug – er markiert eine alte kulturelle, sprachliche und konfessionelle Grenze. Auf der nordwestlichen Seite liegt das kurkölnische Sauerland: Hier siedelten im frühen Mittelalter die Sachsen. Die Sprache ist niederdeutsch, die Konfession katholisch und die Bauernhöfe entsprechen dem Typus des Hallenhauses. Auf der südöstlichen Seite liegt das Wittgensteiner Land: Im Frühmittelalter war es von den Franken dominiert, daher sprechen die Menschen dort eine fränkische Mundart. Nach der Reformation wurde die Gegend mit den Grafen von Wittgenstein protestantisch – und bei den Bauernhöfen gruppieren sich Wohnhaus, Ställe und Scheune um einen Innenhof.
Ein Wanderweg, der verbindet
„Die Grenzziehung blieb lange in den Köpfen der Menschen bestehen“, sagt Pastor Ulrich Stipp, der seit 20 Jahren rund um Schmallenberg tätig ist. „Bis ins 20. Jahrhundert hinein heiratete man nicht über den Rothaarkamm hinweg und ging nicht mal rüber zum Einkaufen.“ Das mit dem Einkauf gilt heute noch. Das liegt aber nicht an alten Sprach- und Kulturgrenzen. Vielmehr muss das Rothaargebirge östlich oder westlich umfahren werden, für den Autoverkehr gibt es keine ganz direkte Verbindung zwischen Schmallenberg und Bad Berleburg.
Dafür führt der 23 Kilometer lange Waldskulpturenweg mit elf Landschaftskunstwerken internationaler Künstlerinnen und Künstler durch die unberührte Natur. Der Wanderweg wird von den Menschen gut angenommen. Auch Pastor Stipp schnürt gern die Wanderstiefel, um Gottes freie Natur zu durchstreifen.
Der Krummstab
Ein zentrales Kunstwerk des Waldskulpturenwegs ist der in den Jahren 2002 bis 2005 entstandene Krummstab des Künstlers Heinrich Brummack. Wer diese Landmarke am Rothaarkamm besuchen will, muss dafür nicht den ganzen Wanderweg auf sich nehmen. Der Schmallenberger Ortsteil Schanze – der Name des Weilers rührt von einer Landwehr her, mit der die Straße zwischen dem kurkölnischen Sauerland und dem nassauischen Siegen gesperrt werden konnte – ist gut mit dem Auto zu erreichen. Von Schanze aus führt der Weg kerzengerade hoch zum siebeneinhalb Meter hohen Krummstab.
Die Abtei Grafschaft
Motivisch spielt das Landschaftskunstwerk auf den Abtsstab der 1072 gegründeten Abtei Grafschaft an. „Die Abtei kam im Lauf der Zeit auf kurkölnischer Seite des Rothaargebirges zu immer mehr Grundbesitz und zu weltlicher Macht“, weiß Pastor Stipp. Im Jahr 1804 war es damit aus und vorbei. Das Kloster wurde im Zuge der Säkularisation aufgelöst und die nicht einmal ein Jahrhundert alte Klosterkirche, die als größte und schönste im kurkölnischen Sauerland galt, wurde abgerissen. Nur die Wohn- und Wirtschaftsgebäude blieben stehen und wurden unterschiedlich genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog mit der Ansiedlung von Borromäerinnen der Trebnitzer Kongregation neues klösterliches Leben in die Gebäude ein. Die Ordensfrauen betreiben dort bis heute das Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft.
Eine allzu große Macht stürzt durch ihre eigene Masse
Die wechselvolle Geschichte des Klosters und der Machtverlust der Kirche spiegeln sich auch im Landschaftskunstwerk wider: Der Krummstab steht deutlich gebeugt wie ein halber Torbogen über dem Weg. Eindeutig wird die Kirchenkritik durch eine an der Skulptur angebrachte Plakette mit der Aufschrift „Eine allzu große Macht stürzt durch ihre eigene Masse“ – ein Luther-Zitat.
Unterm Krummstab ist gut leben
Pastor Ulrich Stipp kann sich trotz der Kritik an dem Kunstwerk erfreuen. Der Krummstab ist zwar schief, aber er steht fest in der Erde. Darüber hinaus zeugen die Spirale der Krümmung und ein Spross, der aus dem Stab herauswächst, von neuem Leben. „Am Stab hätte durchaus auch ‚Unterm Krummstab ist gut leben‘ stehen können“, ist der Geistliche überzeugt. „Die Menschen im kurkölnischen Sauerland hatten es besser als die Menschen in Wittgenstein. In unserer Gegend kommt hinzu, dass der Kölner Erzbischof als Landesherr weit weg war, während die Grafen Wittgenstein ihren Untertanen ständig auf die Finger schauten. Die Katholiken hatten also mehr Freiheiten."
Mit freundlicher Genehmingung der Website des Erzbistums Paderborn entnommen: www.erzbistum-paderborn.de